Was macht eigentlich eine Sonderpädagog:in?

Von Isabel Hellebel

Dass ich mit Kindern arbeiten will, wusste ich schon als Teenager. Lange wollte ich Kinderärztin oder Grundschullehrerin werden. In meinem sozialen Jahr in einem Internat für körperbehinderte Kinder habe ich dann die für mich perfekte Kombination im Beruf der Sonderschullehrerin gefunden. Für den Beruf muss man 5 Jahre studieren. Während des Studiums spezialisiert man sich auf eine oder zwei sonderpädagogische Fachrichtungen, zum Beispiel Sonderpädagogik für Körperbehinderungen, Verhaltensstörungen, oder für Kinder, die blind oder gehörlos sind. Wir hatten viel Psychologie und Pädagogik, Didaktik von mehreren Unterrichtsfächern und Medizin im Studium. Dann folgt wie bei allen LehrerInnen das Referendariat, wo man an Schulen unter Anleitung Unterricht hält.

 

Ich arbeite heute in einer Klasse mit Kindern im Grundschulalter, die sehr schwere körperliche und zum Teil geistige Behinderungen haben. Am Anfang habe ich mich trotz meiner langen Ausbildung manchmal hilflos und überfordert gefühlt. Heute ist das ganz anders: Ich habe viele Ideen, ich weiß genau, was meine Schülerinnen können und überlege mir sinnvolle Dinge, die sie gemeinsam gestalten können – jeder mit dem Potential und den Fähigkeiten, die er hat. Klassisches Unterrichtsmaterial kann ich nicht benutzen. Ich muss Probleme lösen. Was kann ich tun, in wie kleine Schritte muss ich für jedes einzelne Kind eine Aufgabe zerlegen, so dass es diese bewältigen kann?

 

Aus manchen für nichtbehinderte Kinder selbstverständlichen Dingen entwickeln sich ganze Projekte: Im letzten Sommer haben wir jede Woche einen anderen Spielplatz besucht und getestet. Daraus ist ein inklusives Spielplatzheft für unsere Region entstanden. Ich arbeite gern mit Designprogrammen und hatte viel Spaß beim Gestalten. Das ist die Zeit, die andere Lehrer zum Beispiel ins Korrigieren stecken müssen.

 

Ich arbeite in einem interdisziplinären Team mit Pflegekräften, Therapeutinnen und natürlich den Eltern. Gemeinsam stellen wir für jedes Kind einen Förderplan auf, in dem es nicht nur ums Rechnen und Schreiben, sondern auch um Alltagsbewältigung geht: Wie sitzt ein Kind? Wie kann es so selbstständig wie möglich essen oder auf die Toilette gehen? Wie muss der Rollstuhl am besten gebaut werden? Welche Nahrungsmittel braucht es, damit das Kind sein Gewicht halten kann?

 

Wenn Menschen hören, was ich arbeite, fragen sie oft, ob das nicht ungeheuer schwer ist. Und sagen, dass sie es nicht könnten. Die meisten meinen damit, dass sie sich nicht zutrauen mit so viel Leid konfrontiert zu werden. Ich denke aber nur selten darüber nach, wie es wäre, wenn eines „meiner“ Kinder nichtbehindert wäre. Diese Frage hilft nicht weiter. Ich versuche das beste aus dem Tag mit ihnen zu machen. Neulich habe ich gelesen, Sonderpädagogen sind Schatzsucher: Wir suchen mit den Kindern nach den Dingen, die sie können. Die ihnen Erfolgserlebnisse ermöglichen. Und dann gibt es die so oft, wie es geht. Ich glaube sogar, ich habe mit meinen Kindern wesentlich mehr Spaß als ich es in einer Grundschule hätte: Keine Noten, kein Leistungsdruck, kein Stress. Nur die Suche nach Lebensqualität ist mein Auftrag.

Ich möchte aber auch nichts beschönigen: Für die Familien stellt die Behinderung ihres Kindes immer wieder eine Belastung dar. Manche brauchen viel Unterstützung bei der Bewältigung Situation. Das macht mich manchmal traurig.

 

Für mich zählen die vielen Momente des Lachens, der Freude und Offenheit, die wir jeden Tag erleben. Sie machen mich glücklich. Dass man manchmal einige Zeit darauf warten muss, das habe ich auszuhalten gelernt. Aber wenn ich auf die Frage „Magst du schaukeln?“ das strahlenste Lächeln der Welt zur Antwort bekomme, weiß ich, dass ich etwas richtig gemacht habe.

Diese Seite verwendet Cookies, um die Nutzerfreundlichkeit zu verbessern. Mit der weiteren Verwendung stimmst du dem zu.

Datenschutzerklärung