Was macht eigentlich eine Lehrerin an einer beruflichen Schule?

Von Jasmin Riter

Bevor ich damit beginne, von meinen inzwischen mehr als zehn Jahren als Lehrerin an einer beruflichen Schule in Baden-Württemberg zu erzählen, muss ich zunächst klarstellen: berufliche Schule ist nicht gleich Berufsschule. Zwar gibt es berufliche Schulen, auf die auch Berufsschüler:Innen gehen, also Auszubildende, die dort ihren Theorieteil absolvieren. An „meiner“ Schule ist dies jedoch nicht der Fall. Bei uns besucht man die Wirtschaftsschule, das Berufskolleg oder das berufliche Gymnasium und kann so seinen Realschulabschluss, seine Fachhochschulreife oder sein Abitur machen.

Der Arbeitsaufwand einer Lehrkraft an einer beruflichen Schule unterscheidet sich im Prinzip nicht von allgemeinbildenden Schulen; zu meinen Aufgaben gehört neben dem Unterricht die Vor- und Nachbereitung, die Erstellung und Korrektur von Tests und Klassenarbeiten und die Durchführung von schriftlichen und mündlichen Prüfungen. Mit meinen Fächern Deutsch, Englisch, Wirtschaftsenglisch und Gobal Studies habe ich zwar einen deutlich höheren Korrekturaufwand als beispielsweise die Kolleg:Innen aus den MINT-Fächern – aber das hat nichts mit der Schulart zu tun.

Meine Schüler:Innen sind zwischen 15 und 22 Jahre alt. Elternarbeit spielt bei uns deshalb eine deutlich geringere Rolle. Dafür begleiten wir die Jugendlichen in für sie ganz entscheidenden Jahren. Es geht um das Finden der persönlichen Identität, um die Loslösung vom Elternhaus, um die Suche nach dem eigenen Weg. Anders als z.B. an allgemeinbildenden Gymnasien besuchen unsere Schüler:Innen die Schule meist nur zwei oder drei Jahre. Es sind aber ganz entscheidende Jahre für sie – und häufig die  letzten Schuljahre ihres Lebens, bevor sie in Ausbildung, Studium und eigenes Leben starten.

Seit meinem Einstieg als Lehrerin an beruflichen Schulen habe ich unzählige junge Frauen und Männer auf ihre Abschlussprüfungen vorbereitet und sie hindurch begleitet. Ich habe aber auch bei Liebeskummer getröstet, bin mit Schülerinnen zur Drogenberatung gegangen, war Berufsberaterin, habe Schüler, die nach einem Streit zuhause rausgeschmissen wurden, an die entsprechenden Stellen vermittelt. Ich war die erste, die von ungewollten Schwangerschaften erfahren hat oder von schweren Krankheiten in der Familien. Viel zu oft musste ich motivieren und unterstützen, weil Zuhause bisher niemand studiert hatte und es so kaum Rückhalt für die Schüler:Innen gab, die bei uns als erste in der Familie einen höheren Bildungsabschluss erlangen wollten.

Wenn ich ehrlich bin, ist dieser Teil meiner Arbeit noch befriedigender, als zu beobachten, was Schüler:Innen durch meinen Unterricht lernen. Ich habe mich nämlich nie „nur“ als Lehrerin verstanden, die vorne ihren Stoff wegunterrichtet und sich außerhalb des Klassenzimmers nicht für die Jugendlichen interessiert.

Schüler:Innen, die an beruflichen Schulen landen, haben an ihren vorherigen Schulen häufig keine besonders guten Erfahrungen gemacht; fühlen sich, als seien sie am allgemeinbildenden Gymnasium „gescheitert“ oder sehen sich als Verlierer, weil ihre bisherige Schulkarriere keinen geraden Weg genommen hat. Umso wichtiger finde ich es, sie dort abzuholen, wo sie herkommen und jeder und jedem all das an Förderung und Forderung anzubieten, was er oder sie braucht.

Zu einigen meiner Schülerinnen und Schüler habe ich auch Jahre nach ihrem Abschluss noch Kontakt. Wenn ich sie dann als gestandene junge Erwachsene sehe, als Studentin, mit fertiger Ausbildung, eigener Wohnung und manchmal sogar schon eigener Familie, bin ich jedes Mal richtig stolz auf „meine“ Jungs und Mädels.

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